Von der Isolierstation zur Kunst
Wadie Khaled, geboren 1986, stellte seine Bilder erstmals mit 13 Jahren aus. Heute sind sie in renommierten Galerien Palästinas zu sehen.
Foto: © Wadie Khaled
Wadie Khaled fand als neunjähriger Patient auf der Isolierstation des Caritas Baby Hospital zur Kunst. Heute nutzt er seine Werke, um die palästinensische Identität und das kollektive Gedächtnis seines Volkes zu bewahren.
Interview von Shireen Khamis.
Ihr Weg zur Kunst ist eng mit dem Caritas Baby Hospital verbunden. Können Sie ihn kurz beschreiben?
Damals, als ich mit einer Gehirnhautentzündung vierzig Tage lang auf der Isolierstation lag, war mir das alles sicherlich noch nicht klar. Aber als Neunjähriger habe ich im Kinderspital zur Malerei gefunden.
Das müssen Sie uns erklären.
Ich war damals ziemlich allein und durfte wegen Ansteckungsgefahr nur wenig Kontakt zu anderen Menschen haben. Mein Vater brachte mir Farben, Pinsel und ein Malbuch. Und dann gab es da noch eine ganz besondere Krankenschwester: Sie hat sich zu mir gesetzt und – wann immer sie konnte – mit mir zusammen gemalt. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Diese Schwester ist für mich nach wie vor ein Engel.
Wie ging es dann weiter?
Sicherlich nicht zielstrebig und geradeaus! Ich war ein schüchterner Junge und bin in einer Flüchtlingsfamilie in al-Arroub aufgewachsen, etwas südlich von Bethlehem. Da habe ich mich häufig in einem alten Wassertank verkrochen und für mich allein gemalt. Irgendwie wie auf der Isolierstation im Caritas Baby Hospital.
Wieso? Die Spitalzimmer sind doch licht und freundlich!
Ja, heute schon - meine Kinder bringe ich ja deshalb auch ins Kinderspital nach Bethlehem, obwohl ich in Ramallah wohne. Aber früher war das anders. Ich hatte noch eine weitere Lernerfahrung, die man «typisch palästinensisch» nennen kann.
Welche denn?
Als Jugendlicher war ich ein paar Mal in israelischer Haft, wie so viele aus meiner Klasse. Im Gefängnis hat mich das Internationale Rote Kreuz mit Kleidung versorgt. Die war unter diesen Umständen ein perfektes Stück Leinwand, und mit einem Gemisch aus Olivenöl und Kohol [Anm.: traditionelle Schminke] habe ich sehr viel gezeichnet. Ich war ein Künstler. Später habe ich dann an der Kunsthochschule der Al-Quds-Universität in Jerusalem studiert.
Wie würden Sie heute Ihren Stil beschreiben?
Für mich ist Kunst ein kraftvolles Medium, um die palästinensische Identität und das kollektive Gedächtnis unseres Volkes darzustellen. Bei mir nimmt die palästinensische Familie eine zentrale Rolle ein, mit der ich unsere Einheit und Zusammenhalt ausdrücke. Dabei nutze ich auch die Symbole unseres Landes und unserer Religionen. Wie bei der Weihnachtskarte, die ich letztes Jahr für das Caritas Baby Hospital gemalt habe. Das Bild verbindet die heilige Familie mit dem nationalen Symbol der Kuffiye [Anm.: traditionelle Kopfbedeckung].
Wie beeinflusst gerade der Krieg die Kunst in Palästina?
Wir müssen dokumentieren, was gerade geschieht. Viele Menschen hier fürchten seit dem Ausbruch des Krieges in Gaza eine erneute Vertreibung, sozusagen eine Nakba 2.0. Aber wir Künstler müssen auch Hoffnung geben. Die Stimme der Gerechtigkeit ist lauter als die Bomben. Dies gilt im übertragenen Sinne auch für die bildnerische Kunst und beschreibt meine jetzige Aufgabe.